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Kunst und Wissenschaft vereint

Christian Bolt mit ersten Prototypen.
Christian Bolt mit ersten Prototypen. Bild: P. Müller
Der Bildhauer Christian Bolt hat Grosses vor. Basierend auf einer lebensgrossen Terra-Secca-Skulptur von Michelangelo, welcher er anlässlich seiner Professur für Bildhauerei an der Accademia delle Arti del Disegno in Florenz begegnete, will er dieser in Vergessenheit geratenen Technik neues Leben einhauchen.

Zusammen mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Sparten will Bolt, verbunden mit seiner Faszination für Material und Kunst, dieser Arbeitstechnik nachgehen, sie erforschen und wiederentdecken.

Der Start für dieses besondere Projekt, unter dem Titel «Terra nostra – Terra secca», welches bis gegen Ende 2027 dauern soll, ist am 10. Mai.

Vom Material zum Kunstwerk

Die Idee des Bildhauers für sein Werk ist das eine, die Materialwahl und die Arbeitstechnik das andere. Die Eigenschaften und Charakteristiken des Werkstoffs sind dabei mitbestimmende Elemente, sowohl für die Gestaltung des Werks als auch für die Bearbeitung des gewählten Materials.

Während für eine Skulptur üblicherweise bei einem Rohling Material abgetragen wird, um diese zu erschaffen und in die endgültige Form zu überführen, werden bei der Terra-Secca-Technik Materialien zusammengefügt und aufgebaut, um das Kunstwerk zu gestalten. Hinter dem Terra-Secca-Verfahren verbergen sich ganz besondere Materialtechniken, welche dazu führen, dass diese Grundstoffe für die Gestaltung von Kunstwerken so einen ganz spezifischen und nicht zuletzt auch nachhaltigen Einsatz finden.

Das vorliegende Projekt verbindet die Verfahrens- und Materialforschung der Terra-Secca-Technik mit dem künstlerischen Experiment. Das Zusammenwirken von Technik, Forschung und Philosophie bilden in der Kunst die Grundpfeiler für die Entwicklung und die Reflexion.

Roher Ton aus dem Davosersee, vor der Aufarbeitung. Bild: P. Müller

Breitgefächerter Projektinhalt

Zum Projekt als Ganzes meint Christian Bolt: «Die Sprache unserer eigenen Erde soll mittels Kunst und Wissenschaft in einen gesellschaftlichen Dialog treten.»
Sein Ziel ist es, die Ton- und Lehmvorkommnisse im Kanton Graubünden wiederzuentdecken und in ihrer Verschiedenheit zu evaluieren, deren Eigenschaften zu erforschen und daraus Elemente für seine gestalterische Kunst zu extrahieren.

Anhand unterschiedlicher Verfahren und Materialkombinationen will er und seine Projektpartner herausfinden, wie sich die Bindekraft und Belastbarkeit von Tonerden erhöhen lässt und welche Materialien sich überhaupt für diese Techniken eignen. So sollen in Vergessenheit geratene Techniken soweit möglich wiederentdeckt werden und systematisch dokumentiert werden, um allenfalls in einem weiteren Schritt in die Aus- und Weiterbildung in Kunstakademien integriert werden zu können.

Eine weitere Thematik ist der Materialschwund, welcher mit den Trocknungsverfahren einhergeht. Hier besteht die Herausforderung, dieser Herausforderung mit natürlichen Materialien effizient entgegenzuwirken. Nebst dem Bindemittel stellt sich auch die Frage nach kompatiblen Füllstoffen.

Zudem möchte der Künstler Erdpigmente generieren. Er will herausfinden, wie diese für die Oberflächenveredelung bei Terra-Secca-Kunstwerken Verwendung finden können.

Wie man etwas macht, stellt materialwissenschaftlich wohl die grösste Herausforderung dar, weil darüber am wenigsten Wissen vorhanden ist und diese Aspekte nicht messbar sind.

Mittels all dieser Erkenntnisse soll das Bewusstsein für diese Ressource gestärkt und sollen neue Räume in Denken und Handeln geöffnet werden.

Tonaufarbeitung in verschiedenen Stufen. Bild: P. Müller

Austausch mit Wissenschaftlern und Spezialisten

Ausgewiesene Fachpersonen aus unterschiedlichen Disziplinen vereinen sich in diesem Projekt zu einem Team von Interessierten und Forschern.

Zuvorderst steht der emeritierte Materialwissenschaftler der ETH Zürich, Prof. Walter Caseri, welcher Bolt auch auf den sogenannten römischen Beton (opus caementicium) aufmerksam machte. An diesem Werkstoff wird weltweit geforscht. Caseri wird insbesondere für die werkstofftechnischen Aspekte im Projekt aktiv sein – wenn es darum geht, die physikalischen Eigenschaften der hergestellten Modelliermassen zu prüfen, zu charakterisieren und Ratschläge für die Weiterentwicklung zu geben.

Zum Projektteam gehört mit Sgraffito-Künstler und Brandkalkspezialist Johannes Wetzel auch ein Handwerker und Praktiker. Wetzel ist der Spezialist, wenn es um Kalk in all seinen Formen geht. Allerdings ist Kalk lediglich ein Oberbegriff, denn hier spricht man von Dolomit, also Kalziumkarbonat. Hier schöpft der Sgraffito-Künstler aus dem Vollen mit seiner reichhaltigen Erfahrung. Interessant ist die Idee, Marmor zu brennen und herauszufinden, ob sich daraus überhaupt etwas ergibt – und wenn ja, was!

Das Team wird ergänzt durch den Archäologen Martin Mohr, den Kunsthistoriker, Philosophen und Publizisten Andrin Schütz sowie Dr. Alberto Mugnani als Kunsthistoriker und Kunstwissenschaftler aus Mailand. Letzterer wird die Thematik insbesondere kulturhistorisch recherchieren und aufarbeiten, während Mohr aus dem reichen Fundus archäologischer Funde schöpfen kann und entsprechende Vergleiche ziehen kann. Schliesslich wird Schütz mit seinem breitgefächerten Erfahrungsschatz, seinem Wissen und den vielfältigen Interessen die Projektarbeit begleiten.

Ein überraschendes Projektbudget

Auf die eingesetzten Mittel angesprochen, meint Bolt: «Neben Geld wird viel Fantasie und Herzblut eingesetzt, welches nicht in Geld aufgewogen werden kann. Aber natürlich ist Geld auch wichtig, insbesondere um Spesen decken zu können. Wir rechnen mit Kosten von 100 000 Franken pro Jahr». Für diese Geldmittel kommen die öffentliche Hand, Stiftungen sowie Geldgeber aus der Wirtschaft und der Finanzwelt auf.

Erste Schritte sind gemacht

Beim Besuch im Atelier von Christian Bolt fallen einem die verschiedenen Plastikeimer auf, gefüllt mit wässrigem Schlick. So wurde in den vergangenen Tagen Ton aus Ascharina – dort wo einst die Töpferei Lötscher ihren Grundstoff gewann – und aus dem Davosersee Ton gesammelt, welcher nun in aufwendiger Arbeit gereinigt und aufbereitet wird. Gemahlener Dolomit, Marmor-Schleifstaub und viele weitere Roh-, Zwischenprodukte und Pigmente sind bereit, um in der Forschungsarbeit Verwendung zu finden. Daneben liegen Materialquader, welche dereinst auf den Prüfmaschinen der ETH Werkstoffdaten liefern sollen, um die eingesetzten Materialien, welche über die Zeit ihre Eigenschaften verändern, zu charakterisieren.

Abschliessend meint Christian Bolt: «Für mich ist es ein spannendes Projekt, bei welchem nicht nur Kunst, Historie und Wissenschaft zusammengeführt werden. Ebenso wichtig ist für mich, mit den Materialien aus der Natur, dem Erwerb vertiefter Kenntnisse darüber und Fantasie und Innovation Wege in Richtung Nachhaltigkeit zu finden und zu beschreiten.»

Peter Müller